Donnerstag, 27. September 2012

Und doch ein Gerichtstermin

Bevor man sich beschwert, daß es zuwenig Abwechslung in Form von Gerichtsterminen gibt, sollte man lieber noch einmal genau in den Akten nachschauen. So wäre es mir nämlich fast passiert, daß ich heute gar nicht erst dort erschienen wäre, obwohl es in meinem Verfahren noch einen dritten Angeklagten gab, der bisher noch nicht verarztet worden war...

Da ich aber zum Glück noch nachgesehen habe, mache ich mich mit Akte und Robe im Gepäck auf den Weg, um vorbildlich mit dem Fahrrad vom Büro aus zum Gericht zu fahren und dann festzustellen, daß mein Fahrrad, das heute morgen noch einwandfrei funktioniert hat, einen Platten hat. Nun ist wieder einmal eine schnelle Entscheidung angesagt. Ich bin jedenfalls froh, daß ich zum einen einen für viele Leute höchst irritierenden Hang zur Überpünktlichkeit habe, zum anderen, daß ich heute statt der 6 cm nur 4 cm trage und es außerdem gerade mal nicht regnet, und mache mich seufzend und schleppenderweise zu Fuß auf den Weg.
Ich komme rechtzeitig an, allerdings bringt mich diese Umplanung um meinen Cappuccino. Ich segele in den Gerichtssaal, wechsele meinen bunten Schal gegen einen weißen aus -die Form muß schließlich gewahrt bleiben- und plaudere noch kurz mit dem Richter, der mir unter anderem berichtet, daß Rechtsanwalt Oberfreundlich ihm gegenüber in einem Telefonat den Wunsch geäußert hat, mich doch einmal kennenzulernen und es äußerst bedauerlich findet, daß er heute nicht kommen muß. Tja, hätte er sich mal vorher überlegen sollen, was er so beantragt ;-).
Statt dessen erscheint Rechtsanwalt Sportlich, den ich noch von früher eben vom Sport kenne, in Begleitung zweier Praktikanten, ebenso zwei Vertreter der Presse. Das ist schon mal ein ansehnliches Publikum für eine Wirtschaftssache und vor allem für einen Fall, bei dem schon alle wissen, daß der Angeklagte nicht erscheinen wird. Aber die Presse ist wohl durch die aus irgendwelchen Gründen von meiner Chef-Etage herausgegebenen Presseerklärung angelockt worden, in der von 1,6 Millionen Zigaretten die Rede war.
Während wir die vorgeschriebene Wartezeit absitzen, erzählt der Richter, daß der Angeklagte deshalb nicht erscheint, weil er gerade Rinderhälften nach Usbekistan bringt (was üblicherweise keine Entschuldigung ist, aber wir sind gewillt, das hier auch ohne ihn zu erledigen). Offenbar weigert sich Russland zur Zeit, Rindfleisch aus der EU zu kaufen, daher wird das EU-Fleisch nun zunächst nach Usbekistan gebracht, dort kaufen die Russen es dann. Ich bin froh, daß deutsche Behörden dort nicht ermitteln können...
Nach Abschluß der Wartezeit verlese ich den Teil der Anklageschrift, der unseren Angeklagten betrifft, beantrage den Erlass eines Strafbefehls mit einer sehr moderaten Strafe in Anbetracht dessen, daß die anderen auch so gut weggekommen sind. Die Pressevertreter versuchen, uns noch ein wenig auszuquetschen und suchen sich dann hoffentlich ein spannenderes Betätigungsfeld.
Meinen Cappuccino trinke ich dann eben hinterher mit Rechtsanwalt Sportlich und einem seiner verbliebenen Praktikanten, und wir übertreffen uns in Erzählungen über unsere spektakulärsten Fälle ;-). Dann mache ich mich schleppenderweise auf den Heimweg...äh...den Rückweg ins Büro, hole mir nebenbei etwas zu essen und denke lieber noch nicht daran, daß ich gleich zu Fuß nachhause gehen darf...

Keine Kommentare: