Freitag, 11. Januar 2013

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Passend zu meinem gestrigen Posting werde ich heute morgen bei Einnahme meines rituellen Vor-Verhandlungs-Cappuccinos von einem Kollegen gefragt, ob ich denn neuerdings im Gericht wohnen würde. Meine Rede...aber zumindest nehme ich dann das Gericht mit der vernünftigen Kantine ;-).

Die Verhandlung beginnt mit der Vorführung unseres nur zufällig flüchtenden Kandidaten, außerdem hat sich im Zuschauerraum ein größeres Publikum eingefunden. Hierbei handelt es sich, wie man an der Ähnlichkeit schnell erkennt, um die Familie des Angeklagten mit dem monströsen Namen, vom Umfang her eine regelrechte Sippe, die nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck macht. Ich habe mich jedenfalls schon weniger angestarrt gefühlt.

Es erscheint der erste Zeuge des heutigen Tages und gleichzeitig, was ich bis dahin noch nicht weiß, auch der letzte in diesem unseligen Prozess. Er stellt sozusagen den abschließenden Höhepunkt dar, denn wenn die bisherigen Aussagen schon fast schon fast allesamt eine Mischung aus Märchenstunde und Dummheit waren, so übertrifft diese noch einmal alles. Der Zeuge erzählt plötzlich eine komplett andere Geschichte als bei der Polizei und verändert diese auch noch wieder mehrmals. Allgemeines Kopfschütteln, nur die Verteidiger können ein gewisses Frohlocken nicht verbergen.

Ich habe keine andere Möglichkeit, als für den Angeklagten, den wir gerade erfolgreich in Haft genommen haben, Freispruch zu beantragen. Ich muß zugeben, daß es mich ärgert (und auch die Richterin erwähnt mir gegenüber später, daß sie darüber nicht gerade erfreut ist...), ein wenig versöhnlich stimmt mich dann aber die Tatsache, daß gegen ihn noch zwei weitere Haftbefehle vorliegen und er dennoch wieder abgeführt wird. Manchmal werden auch der Justiz kleine Highlights gegönnt ;-).

Nun ist nur noch einer übrig und die hoffnungsvolle Sippe im Zuschauerraum...wir entfernen alle, die nicht am Prozess beteiligt sind, und es wird schon wieder ein "informelles Rechtsgespräch" geführt. Vorschläge zur Beendigung des Verfahren werden gemacht, ich bitte mir Bedenkzeit aus und gehe erst einmal Mittag essen. Hungrig kann ich eh nichts vernünftiges entscheiden. Nach dem Essen geht das Gespräch weiter, und wir kommen tatsächlich zu einem Ergebnis. In Anbetracht der schon fortgeschrittenen Zeit wird die Beendigung der Angelegenheit dann aber doch noch vertagt, auf Montag.

Im Klartext heißt das, daß dieses Wochenende nicht nur aus Bereitschaftsdienst bestehen wird, sondern auch aus der Vorbereitung des Plädoyers. Das einzige, was mich freut, ist, daß mein Referendar auf diese Weise noch das Ende des Prozesses miterleben wird, sein letzter Tag ist nämlich erst am Dienstag.
Aber eigentlich wollte ich an meinem freien Tag doch nur ein wenig in Ruhe shoppen gehen...

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