Donnerstag, 11. Juli 2013

Die Tücken eines Gerichtstages


Heute habe ich zwei Gerichtstermine für Kollegen, die sich bereits im Urlaub befinden. Mach ich ja gerne, nach etlichen Tagen, die nur an meinem Schreibtisch stattgefunden haben, freue ich mich auf ein wenig Abwechslung.
Da das Ganze erst relativ spät losgehen soll, verlege ich die Terminsvorbereitung auf den Morgen. Bei kleineren Fällen ist das üblicherweise völlig ausreichend. Also nehme ich mir den ersten Fall vor:
Es geht um Beitragsvorenthaltung in drei Fällen. Insgesamt wurde die horrende Summe von 310,- € nicht an die Sozialversicherung abgeführt. Wieso in aller Welt klagt der Kollege so etwas an, wenn wir üblicherweise unter 5.000,- € Schadenssumme gar nicht erst anfangen zu arbeiten? Ich blättere weiter. Nun gut, es könnte an den 24 Vorstrafen liegen, die der Kandidat bereits gewonnen hat. Ich blättere weiter, bis ich erneut stutzig werde. Wieso habe ich eigentlich die Original-Akte? Müsste die nicht beim Gericht sein? Weiteres Blättern und ein Schreiben vom Gericht: der Kandidat ist nicht auffindbar, wir möchten bitte eine Fahndung nach ihm einleiten. Bereits vor zwei Wochen eingetroffen das Schreiben. Und warum ist das nun wieder dem Kollegen nicht vorgelegt worden?
Jedenfalls sieht es nicht nach einer Gerichtsverhandlung in dieser Sache aus. Ich rufe sicherheitshalber beim Gericht an. Nein, kein Termin, aber –ich frage lieber ausdrücklich nach- der nächste um 13 Uhr findet statt. Hoffen wir das beste!

Und es geht weiter. Pünktlich um 13 Uhr und wie üblich hart am Rande der Vorschriften über die Kleiderordnung (einmal möchte ich dort mein neues Shirt tragen dürfen…) findet Frau Spock sich im Gerichtssaal ein. Vorher gab es sogar Mittag, wobei ich mich gezwungen sah, die eherne Regel „Niemals Tomatensauce mit weißem Oberteil“ zu ignorieren. Lecker. Und wozu gibt es schließlich Roben?
Angetreten ist heute der bestaussehendste Mitarbeiter der hiesigen Bußgeld- und Strafsachenstelle und hat zur Steigerung des Effekts gleich noch zwei jüngere Kollegen mitgebracht. Hurra, ich bekomme etwas für´s Auge, hat man ja nicht so oft. Ein bisschen arbeiten könnte er allerdings noch an seiner irritierenden Angewohnheit, mir ständig ins Wort zu fallen.
Der Angeklagte zeichnet sich schon wieder durch erschreckende Normalität aus, der Richter und ich sehen uns verwirrt an. Sein Verteidiger, ein Steuerberater, zeichnet sich eher durch gewisse Müdigkeitserscheinungen aus, die aber von der längeren Anreise herrühren mögen. Stolz berichten die beiden, dass sie schon seit 1993 zusammenarbeiten. Schade nur, dass es ihnen im Rahmen dieser Zusammenarbeit nicht gelungen ist, die Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 und 2007 fristgerecht zu erstellen und dadurch an die 70.000,- € Steuern nicht bezahlt wurden.

Und dann fangen sie an, auf die Tränendrüse zu drücken, dass sogar mir fast weh um´s Herz wird. Das Ziel besteht darin, die Anzahl der verhängten Tagessätze auf höchstens 90 zu drücken (erst darüber gibt es einen Eintrag im Bundeszentralregisterauszug). Wir versuchen, ihm zu erklären, dass man bei 100.000,- € hinterzogener Steuer mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zu rechnen hat, das entspräche 360 Tagessätzen, und dass es bei 70.000,- € daher utopisch ist, 90 Tagessätze zu verhängen.
Aber (Tränendrüse) er konnte doch…aber (Tränendrüse) er hatte doch…aber (Tränendrüse) er wollte doch…er tut mir tatsächlich ein wenig leid, und ich habe schon weitaus üblere Kandidaten auf der Bank gegenüber erlebt, aber irgendwo gibt es dann doch Grenzen. Und wenn ich mich auf der einen Seite als erfahrener Geschäftsmann präsentiere, kann ich nicht auf der anderen Seite wichtigeres zu tun haben, als meine Steuererklärung abzugeben, für die es nun einmal genau festgelegte Fristen gibt.
Irgendwann ersticken wir die Tränendrüse, und ich plädiere. Es gibt ein sehr moderates Urteil, und er bekommt 160 Tagessätze anstatt der laut sturer Berechnung eigentlich festzusetzenden 225, und ich finde, damit ist er ganz gut weggekommen.
Im Grunde sieht er es auch ein, obwohl er sich natürlich ärgert, und in seinem Schlusswort verkündet, er hätte sich etwas anderes gewünscht.

Womit sich dann der Spruch wieder einmal bewahrheitet hätte:
Wir sind hier nicht bei „wünsch dir was“, wir sind hier bei „das isso“!

Ich könnte mir vorstellen, dass er in die Berufung geht, er hatte so einen Blick…

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