Heute habe ich zwei Gerichtstermine für Kollegen, die sich bereits im Urlaub befinden. Mach ich ja gerne, nach etlichen Tagen, die nur an meinem Schreibtisch stattgefunden haben, freue ich mich auf ein wenig Abwechslung.
Da das Ganze erst
relativ spät losgehen soll, verlege ich die Terminsvorbereitung auf den Morgen.
Bei kleineren Fällen ist das üblicherweise völlig ausreichend. Also nehme ich
mir den ersten Fall vor:
Es geht um
Beitragsvorenthaltung in drei Fällen. Insgesamt wurde die horrende Summe von
310,- € nicht an die Sozialversicherung abgeführt. Wieso in aller Welt klagt
der Kollege so etwas an, wenn wir üblicherweise unter 5.000,- € Schadenssumme
gar nicht erst anfangen zu arbeiten? Ich blättere weiter. Nun gut, es könnte an
den 24 Vorstrafen liegen, die der Kandidat bereits gewonnen hat. Ich blättere
weiter, bis ich erneut stutzig werde. Wieso habe ich eigentlich die
Original-Akte? Müsste die nicht beim Gericht sein? Weiteres Blättern und ein
Schreiben vom Gericht: der Kandidat ist nicht auffindbar, wir möchten bitte
eine Fahndung nach ihm einleiten. Bereits vor zwei Wochen eingetroffen das
Schreiben. Und warum ist das nun wieder dem Kollegen nicht vorgelegt worden?
Jedenfalls sieht es
nicht nach einer Gerichtsverhandlung in dieser Sache aus. Ich rufe
sicherheitshalber beim Gericht an. Nein, kein Termin, aber –ich frage lieber ausdrücklich
nach- der nächste um 13 Uhr findet statt. Hoffen wir das beste!
Und es geht weiter.
Pünktlich um 13 Uhr und wie üblich hart am Rande der Vorschriften über die
Kleiderordnung (einmal möchte ich dort mein neues Shirt tragen dürfen…) findet
Frau Spock sich im Gerichtssaal ein. Vorher gab es sogar Mittag, wobei ich mich
gezwungen sah, die eherne Regel „Niemals Tomatensauce mit weißem Oberteil“ zu
ignorieren. Lecker. Und wozu gibt es schließlich Roben?
Angetreten ist heute
der bestaussehendste Mitarbeiter der hiesigen Bußgeld- und Strafsachenstelle
und hat zur Steigerung des Effekts gleich noch zwei jüngere Kollegen
mitgebracht. Hurra, ich bekomme etwas für´s Auge, hat man ja nicht so oft. Ein
bisschen arbeiten könnte er allerdings noch an seiner irritierenden
Angewohnheit, mir ständig ins Wort zu fallen.
Der Angeklagte
zeichnet sich schon wieder durch erschreckende Normalität aus, der Richter und
ich sehen uns verwirrt an. Sein Verteidiger, ein Steuerberater, zeichnet sich
eher durch gewisse Müdigkeitserscheinungen aus, die aber von der längeren
Anreise herrühren mögen. Stolz berichten die beiden, dass sie schon seit 1993 zusammenarbeiten.
Schade nur, dass es ihnen im Rahmen dieser Zusammenarbeit nicht gelungen ist,
die Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 und 2007 fristgerecht zu
erstellen und dadurch an die 70.000,- € Steuern nicht bezahlt wurden.
Und dann fangen sie
an, auf die Tränendrüse zu drücken, dass sogar mir fast weh um´s Herz wird. Das
Ziel besteht darin, die Anzahl der verhängten Tagessätze auf höchstens 90 zu
drücken (erst darüber gibt es einen Eintrag im Bundeszentralregisterauszug).
Wir versuchen, ihm zu erklären, dass man bei 100.000,- € hinterzogener Steuer
mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zu rechnen hat, das entspräche 360
Tagessätzen, und dass es bei 70.000,- € daher utopisch ist, 90 Tagessätze zu verhängen.
Aber (Tränendrüse)
er konnte doch…aber (Tränendrüse) er hatte doch…aber (Tränendrüse) er wollte
doch…er tut mir tatsächlich ein wenig leid, und ich habe schon weitaus üblere
Kandidaten auf der Bank gegenüber erlebt, aber irgendwo gibt es dann doch
Grenzen. Und wenn ich mich auf der einen Seite als erfahrener Geschäftsmann
präsentiere, kann ich nicht auf der anderen Seite wichtigeres zu tun haben, als
meine Steuererklärung abzugeben, für die es nun einmal genau festgelegte
Fristen gibt.
Irgendwann ersticken
wir die Tränendrüse, und ich plädiere. Es gibt ein sehr moderates Urteil, und
er bekommt 160 Tagessätze anstatt der laut sturer Berechnung eigentlich
festzusetzenden 225, und ich finde, damit ist er ganz gut weggekommen.
Im Grunde sieht er
es auch ein, obwohl er sich natürlich ärgert, und in seinem Schlusswort
verkündet, er hätte sich etwas anderes gewünscht.
Womit sich dann der
Spruch wieder einmal bewahrheitet hätte:
Wir sind hier nicht
bei „wünsch dir was“, wir sind hier bei „das isso“!
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