Morgen ist es dann mal wieder soweit: ein Jahr mehr auf dem Buckel. Kind mittel wollte mir neulich schon einen Platz im Altersheim vermitteln. Der wäre total praktisch, und sie würde mich auch jedes Wochenende besuchen. Aber eigentlich fühle ich mich noch ganz fit und denke, ich verschiebe das noch um ein paar Jahre.
Dieses neue Lebensjahr wird noch einige Veränderungen mit sich bringen. Ich bin sehr gespannt und freue mich außerordentlich. Aber davon ein anderes Mal...
Wirklich schon wieder ein Jahr
Ist das schon so lange her?
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Noch weht mir der Wind von der See her entgegen,
Noch finde ich Sand in meinen Hosenumschlägen
Und Dünengras in meinem Haar,
Spür‘ auf den Lippen das Meer;
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Ist es schon wieder so spät?
Mir taut noch der Vorjahrsschnee von meiner Mütze,
Um meine Schuhe entsteht eine Pfütze
Auf dem gewachsten Parkett,
Werd‘ ich den Winter gewahr.
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Ist also morgen schon heut?
Noch schwirren vom vorigen Sommer die Mücken
Um meinen Kopf, meine Finger zerpflücken
Akazienblätter zerstreut:
Ein wenig, von Herzen ... ist‘s wahr?
Wirklich schon wieder ein Jahr?
Die Tage hab‘ ich nicht gezählt.
Noch raschelt verwelktes Laub unter den Schritten,
Im vorigen Herbst von der Hecke geschnitten.
Noch glimmt Erntefeuer im Feld,
Flammenlos, kaum wahrnehmbar.
Bin immer noch der ich war,
Erwachsener werd‘ ich wohl nicht.
Ich hab‘ einen Jahresring mehr wie die Bäume,
Eine dickere Rinde, ein paar neue Träume.
Und Lachfalten mehr im Gesicht.
Wirklich schon wieder ein Jahr?
(Reinhard Mey)