Mittwoch, 10. Juni 2015

"Wer zu früh kommt, den"...oder "So unvoreingenommen war ich noch nie!"

Was also passiert, wenn Frau Spock wieder einmal als eine der ersten in ihrem Büro sitzt?

Es erscheint Abteilungsleiter Oberstaatsanwalt Huschig mit diesem gewissen Blick in den Augen, der mir sofort sagt, daß er irgendwas von mir möchte...

"Irgendwas" besteht aus einer Gerichtsverhandlung, die in etwa 20 Minuten beginnt. Der eigentlich eingeteilte Kollege hatte einen Autounfall und ist jetzt mitsamt Akten auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich erkläre mich natürlich bereit, für ihn einzuspringen und mache mit, gekleidet in einer (gewollt, ist ja schließlich modern) löchrigen Jeans und einem schwarzen T-Shirt auf den Weg zum Gericht. Vollkommen unpassende Kleidung zu tragen, ist das eine, keine Akten zu haben, ist da schon eine härtere Nummer. Ich weiß absolut nichts, nicht einmal, was überhaupt angeklagt ist. Und das erste ist auch noch eine Schöffensache, also nicht nur Kleinkram.

Dort angekommen werde ich von einer mir vertrauten und sehr netten Protokollkraft begrüßt, die mir immerhin schon mal die Anklageschriften kopiert hat. Und dann geht es auch schon los. Die Angeklagte im ersten Fall ist eine Buchhalterin (ich bin schockiert, Buchhalter begehen keine Straftaten!), die über zwölf Jahre Lohn an zwei fingierte Mitarbeiter auf ihr eigenes Konto gezahlt hat. Scheint recht einfach zu funktionieren, falls hier noch jemand Tipps benötigt ;-). Allein der angeklagte Schaden beläuft sich auf rund 200.000,- €, weitere 300.000,- € sind offenbar schon verjährt (vermutlich steht dazu etwas in der Akte...).

Aber sie bereut es zutiefst, weint die meiste Zeit und hat auch schon angefangen, das Geld zurückzuzahlen, auch wenn ihr das zu Lebzeiten wohl nicht mehr gelingen wird. Im übrigen ist sie 63 Jahre alt, gesundheitlich und psychisch angeschlagen und nicht vorbestraft. Das ist dann einer dieser Momente, in denen ich überlege, ob jemand in dieser Situation wirklich noch ins Gefängnis einziehen muß oder ob es eine Bewährungsstrafe nicht auch tut. Ich entscheide mich für letzteres, die Richterin pflichtet mir bei, der Anwalt grummelt ein wenig vor sich hin, ist aber vermutlich insgeheim eher erleichtert.

Der nächste Kandidat erscheint gar nicht erst, dafür aber sein Bewährungshelfer, der mir gleich mitteilt, daß er keine positive Sozialprognose für seinen "Kunden" abgeben könnte. Also ein Strafbefehl in Abwesenheit.

Als letztes eine junge Frau, die vor zwei Jahren ein paar Diebstähle begangen hat, zu der Zeit noch drogenabhängig. Inzwischen scheint sie ihr Leben aber im Griff zu haben, sie räumt alles ein, beschönigt nichts, und kommt dann mit einer Geldstrafe davon, während ich mich noch in die Kantine absetze...

Bestraft also das Leben auch die, die zu früh kommen? Da ich Gerichtsverhandlungen liebe, trifft das heute wohl eher nicht zu. Mit Akten ist es schon hübscher, aber hey, frau ist ja flexibel, und es geht ja auch so. Und so unvoreingenommen war ich tatsächlich noch nie ;-).

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