Montag, 22. September 2014

Tag 1 - Wir sind Bäume

Das Wort "Selbsterfahrung" in der Tagungsausschreibung hätte mich wohl darauf vorbereiten müssen, daß auch eine gewisse Esoterik hier eine Rolle spielt. Was ich im übrigen keineswegs negativ finde, habe ich doch selbst immer wieder einen gewissen Hang dazu. Dennoch kann ich einen leichten Schrecken nicht unterdrücken, als die Referentin beim Frühstück etwas von einem Stuhlkreis murmelt, weil ich sofort ein Szenario mit einem hin und her zu werfenden Wollknäuel, einer brennenden Kerze und Jogi-Tee vor mir sehe. Das Frühstücksbuffet ist im übrigen wieder großartig.

Hinterher finden wir uns im Lehrsaal ein und werden nach dem üblichen Vorgeplänkel in zwei Gruppen eingeteilt, obwohl wir ohnehin schon sehr wenige sind. Die Gruppen sollen im Wechsel Prozeßspiele unter Einsatz von Videokameras durchführen und sich eben der Selbsterfahrung hingeben. Ich beginne mit letzterem.

Es gibt tatsächlich einen Stuhlkreis und eine sehr ausführliche Vorstellungsrunde, allerdings keine Wollknäuel. Die Referentin -ihres Zeichens Psychotherapeutin- erzählt allerlei über die Wichtigkeit des Sorgens für sich selbst, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann, habe ich mich doch in den letzten Monaten schon selbst recht intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Aber vor allem soll es in dem Seminar ja darum gehen, wie wir auf andere wirken und welchen Eindruck wir gleichzeitig von uns selbst haben. Und damit geht es weiter. Im Wechsel sollen wir uns gegenseitig erzählen, wie wir uns nach dem ersten Eindruck einschätzen würden. Viel Gekichere natürlich, aber es ist auch sehr interessant, wie die verschiedenen Gegenüber einen denn so sehen und wie unterschiedlich ihre Einschätzungen teilweise sind. Am schmeichelhaftesten finde ich dabei im übrigen, daß ein Amtsgerichtsdirektor aus östlichen Gefilden mich für ein wenig flippig hält und meint, ich wäre bestimmt keine Püppi. Im Gegenzug unterstelle ich ihm, früher immer den Klassenclown gegeben zu haben. Wir fühlen uns beide recht gut erkannt ;-).

Dann kommt zur Entspannung am Ende eine Phantasiereise, in der wir uns alle in Bäume verwandeln. Ich verwandele mich in einen perfekten Mandelbaum im Botanischen Garten meiner Universitätsstadt, in voller Blüte stehend natürlich. Seitdem habe ich ziemlich großen Appetit auf Marzipan, habe aber ungünstigerweise nur Zimtsterne dabei...

Nach dem Mittagessen tue ich das, was ich eigentlich schon vor dem Frühstück tun wollte: ich gehe schwimmen. Auf diese Idee komme zu dem Zeitpunkt nur ich, und es ist wunderbar, das ganze Schwimmbad für sich allein zu haben. Erst bei den letzten 20 meiner 100 Bahnen erscheint noch eine Person, die ich mangels Brille allerdings nicht erkennen kann.

Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Diesmal bei den beiden anderen Referenten, beides Juristen. Aber sie verschonen uns heute noch mit Videoaufnahmen, und wir besprechen allgemein Kommunikationskonfliktpotentiale im Rahmen einer Hauptverhandlung. Aufgrund der Größe (oder eher Nicht-Größe) der Gruppe kommen sehr interessante Gespräche zustande. Aber morgen wird dann wohl die Kamera zum Einsatz kommen, ich bin sicher, daß alle schon innerlich zittern...

Fazit des ersten Tages: mal eine ganz andere Veranstaltung als der übliche Frontalunterricht vor großen Gruppen, bei dem einem in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Stoff untergejubelt werden soll. Sehr interessant, auch mal diese anderen Aspekte des Berufslebens zu beleuchten. Im übrigen sollte es verboten sein, bei Seminaren derart gutes Essen zu servieren ;-). Und morgen ist auch noch eine Weinprobe angesagt...

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