Eigentlich hatte ich für heute, in Anlehnung an meine gestrigen Ausführungen, eine Abhandlung über die Chancen des Internets geplant. Aber um den Untertitel dieses Blogs wissend, wird es heute wohl mal wieder Zeit, sich um das eigentliche Thema zu kümmern, nämlich die Justiz:
Und Justiz bedeutet natürlich Gerichtstermin. Ich begebe mich also vorschriftsmäßig gekleidet (zumindest bis zur Taille, sorry, aber für eine kleine Steuerhinterziehung trenne ich mich nicht von meinen Jeans) zum hiesigen Amtsgericht, inzwischen kennen mich sogar die Wachtmeister der Einlasskontrolle und wollen meinen Dienstausweis nicht mehr sehen, die vielen Termine dort neulich machen sich bezahlt.
Es geht heute um einen Einspruch gegen einen Strafbefehl (wer nicht mehr weiß, was das ist, möge doch bitte in den früheren Postings nachlesen, sooo lehrreich ist dieser Blog dann doch nicht, dass ich meine Leser mit sich ständig wiederholenden juristischen Erläuterungen langweilen möchte…). Der Angeklagte ist seines Zeichens Schrotthändler, was eigentlich schon Grund genug wäre, ihn nur deswegen ohne weitere Verhandlung wegen Steuerhinterziehung zu verurteilen. Und wie recht ich damit habe, wird sich gleich zum wiederholten Male herausstellen. Begleitet ist er von seinem Verteidiger. Neben mir sitzt wie meistens eine Vertreterin der Finanzbehörde.
Es folgt das übliche Vorgeplänkel, Namen, Daten, usw., ich verlese mit strenger Miene die Anklageschrift, dann geht es los:
Der Richter bittet den Verteidiger, seinen Einspruch zu begründen, was diesen dazu veranlasst, uns mitzuteilen, dass es ja sehr schade wäre, dass sich niemand, der Ahnung von Steuern hat, im Raum befindet. Toller Einstieg! Aber auch dieses Missverständnis lässt sich lösen. Jedenfalls möchte er uns jetzt klar machen, dass sein Mandant höhere Betriebsausgaben hatte als vom Finanzamt geschätzt. Warum er denn dann keine Steuererklärungen abgegeben habe, um diesen Zustand zu ändern, möchte der Richter wissen.
Jetzt schaltet sich der Angeklagte ein, und ich komme mir nach kurzer Zeit vor wie auf dem Tennisplatz, so fliegen die Bälle hin und her.
Angeklagter: Ich kann keine Steuererklärungen machen, da ich keine Belege habe. So will das Finanzamt das nicht.
Richter: Aber warum haben Sie keine Belege?
Angeklagter: Ich habe etwa 85 Kunden, von denen ich Schrott kaufe, die wollen mir keine Belege geben. Was soll ich denn machen?
Richter: Welche verlangen?
Angeklagter: Aber das wollen die nicht! Und hinter mir stehen schon die nächsten Kunden, die dann eben den Schrott kaufen. Was soll ich machen?
Richter: Keine Geschäfte mit solchen Leuten?
Angeklagter: Aber ich bin Schrotthändler, wovon soll ich denn sonst leben?
Richter: Sie meinen also, wenn Sie die Geschäfte nicht legal betreiben können, muss es halt illegal sein?
Angeklagter: Was soll ich machen? Etwa mein Geschäft aufgeben?
Richter: Wenn Sie es nicht legal führen können, wäre das wohl die Lösung.
Angeklagter: Aber wovon soll ich dann leben?
Richter (der muss heute ein paar Löffel Geduld gefrühstückt haben): Ich bin hier nicht die Rechtsberatung, aber Sie könnten kellnern gehen oder putzen…
Angeklagter (grübelnd): Also Geschäft aufgeben…morgen stehen 85 Händler vor meiner Tür und heulen.
Ich (augenverdrehend): Dann heulen sie eben. Geben Sie mir ihre Namen, dann heulen sie bald noch mehr (ich ignoriere den erstickten Ausruf der Protokollkraft).
Richter (mit zuckenden Mundwinkeln): Ich denke, da stehen schon ganz viele andere bereit.
Angeklagter (ein zerknülltes Papier aus der Tasche ziehend): Wenn ich also solche Belege habe, muss ich keine Steuern zahlen?
Ich (verzweifelt eine Tischkante für meinen Kopf suchend, aber zumindest mit der einzig immer richtigen juristischen Antwort): Das kommt drauf an.
Angeklagter: Dann lasse ich mir ab sofort Belege geben und bringe die dann alle zum Finanzamt (die Vertreterin der Finanzbehörde zuckt bei dieser Vorstellung merklich zusammen).
Richter: Besser wäre es, wenn Sie eine Steuererklärung erstellen.
Angeklagter: Hm, aber wovon lebe ich? Kriege ich Hilfen vom Staat? Und wie funktioniert das mit der Gewerbeabmeldung?
Richter: Ich bin immer noch keine Rechtsberatung, das kann ich Ihnen nicht sagen.
Angeklagter: Aber…
Ich (meine Aktenberge im Kopf): Wollen wir nicht vielleicht mal wieder auf den Strafbefehl zurückkommen?
Der Verteidiger schaltet sich sichtlich dankbar ein, und wir verhandeln eine Weile über die Höhe der Strafe. Der Angeklagte, der uns vorher noch erzählt hat, er würde mit seinem Unternehmen überhaupt nur so 6.000,- € im Jahr verdienen, hat plötzlich 2.000,- € monatlich zur Verfügung. Der Verteidiger zerrt ihn schnell für eine kurze Besprechung aus dem Gerichtssaal und kommt mit der Erläuterung zurück, dass sein Mandant Umsatz, Einnahmen und Gewinn einfach nicht unterscheiden könne und allerhöchstens 1.000,- € monatlich habe. Daraufhin stellt der Richter fest, dass die Geldstrafe dann eigentlich doppelt so hoch sein müsste, als sie bisher festgesetzt wurde, was den Verteidiger veranlasst, seinen Einspruch zurückzunehmen…
Echt mal, weshalb gibt es keinen Führerschein für angehende Unternehmer? Und warum gibt es eigentlich Gerichtsshows? Die Realität ist zur Unterhaltung völlig ausreichend. Letzte Frage: woher bekomme ich nun endlich den Orden für gelungene Selbstbeherrschung? Ich habe es immerhin geschafft, dort eine Stunde zu sitzen und mir nicht mehr als ein mildes Lächeln abzuringen!
Aber keine Hoffnung, ich werde mich noch über die Chancen des Internets auslassen. Mal sehen, wie lange ich meine literarischen Ambitionen zurückhalten kann ;-).
Ein neues Abenteuer
vor 7 Jahren
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