So gaaaanz langsam geht hier das normale Leben wieder los, und das beinhaltet insbesondere, daß ich wieder einigermaßen regelmäßig zu Gericht gehe. Letzte Woche war ja schon der erste davon, heute startete eine Berufungsverhandlung, die mit zunächst einmal drei Sitzungstagen angesetzt worden ist. Es ist allerdings nicht mein eigener Fall, sondern der eines Kollegen, aber wir helfen uns ja gerne gegenseitig aus.
Berufungen werden mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern -auch Schöffen genannt- verhandelt (so, Lehrstunde ist schon wieder zuende gg). Nachdem mir als erstes der geschniegelte Angeklagte aufgefallen war, der tatsächlich im Nadelstreifenanzug und mit rosa Hemd erschien, fiel mein Blick auf einen dieser Schöffen, und ich stellte fest, daß er eine gewaltige Ähnlichkeit mit meinem Ex-Schwager hatte. Dann grinste er mich auch noch an, so daß ich echt ins Überlegen kam, immerhin habe ich den guten Mann (also meinen Ex-Schwager) schon eine ganze Weile nicht gesehen (sonst wär er ja nicht der Ex...).
Als erstes ging es dann um die Frage, um das Verfahren nicht gleich wieder gegen Auflage eingestellt werden sollte. Der Rechtsanwalt, der einige Bundesländer weiter weg wohnt, versuchte, mich mit einem kaum verständlichen Akzent davon zu überzeugen, daß eine Strafe doch schon aufgrund der langen Verfahrensdauer gar nicht mehr angezeigt wäre. Dann erwähnte er noch die ggf. weiter anstehenden berufsrechtlichen Folgen für seinen Mandanten, dem nach diesem "Unfall" unter Umständen ein Berufsverbot drohe...Er war etwas erstaunt, daß ich nicht gewillt war, einer Einstellung zuzustimmen und statt dessen das offenbar mangelnde Unrechtsbewußtsein seines Mandanten rügte.
Nachdem er damit nichts wurde, beantragte der Verteidiger, das Verfahren bis zum Abschluß einer finanzgerichtlichen Entscheidung auszusetzen. Immer noch mit seinem unsäglichen Akzent erläuterte er, daß dort eine schnelle Entscheidung zu erwarten wäre. Hm, Finanzgericht und schnell ist schon ein Widerspruch in sich. Ich ließ mir auch hierfür schnell ein paar gute Gegenargumente einfallen, dann zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Ich nutzte die Gelegenheit, die Protokollkraft nach dem Namen des Schöffen zu fragen und stellte erleichtert fest, daß es nicht mein Ex--Schwager war. Ehrlich gesagt bin ich nicht ganz sicher, was ich hätte tun müssen, wenn er es doch gewesen wäre. Ich glaube eigentlich nicht, daß ich dann hätte bleiben dürfen...Danach schockierte ich die mitgekommene Vertreterin der Finanzbehörde mit der Aussage, daß mein Abteilungsleiter mir gedroht hätte, mich in die Jugendabteilung zu versetzen, wenn ich einer Einstellung des Verfahrens zustimme. Das war vielleicht ein wenig übertrieben, aber ihr entgeisterter Blick hat sich gelohnt ;-).
Der Antrag auf Aussetzung wurde jedenfalls zurückgewiesen, und wir konnten endlich mit der Verhandlung beginnen. Der Angeklagte redete wie ein Buch, dafür war der ihm folgende Zeuge alles andere als enthusiastisch, und wir mußten ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. Der Richter entließ uns mit einem großen Stapel Papier, den wir bis zum nächsten Mal im sogenannten Selbstleseverfahren durcharbeiten sollen.
Ich bin jedenfalls gespannt, es ist noch alles möglich in dem Fall. Aber es gibt ja auch noch mindestens zwei weitere Tage...
Ein neues Abenteuer
vor 7 Jahren
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